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Verteilte Wiederholung

Eine Intuition, die durch Forschung bestätigt wurde

„Bei einer beträchtlichen Anzahl von Wiederholungen ist es weitaus vorteilhafter, diese richtig über einen Zeitraum zu verteilen, als sie in einem einzigen Schritt zu bündeln.“ Dieser Satz ist das Ergebnis der wegweisenden, über hundert Jahre alten Studien des Psychologen Hermann Ebbinghaus (1850–1909). Er stützte seine Forschung auf eigene Erfahrungen und fand heraus, dass die gleiche Menge an wiederholtem Lernen desselben Inhalts über einen längeren Zeitraum verteilt zu einer deutlich besseren langfristigen Behaltensleistung führt.

Hingegen führt es zu schlechteren Ergebnissen, wenn man versucht, mit der gleichen Zeit denselben Inhalt in einer einzelnen Lerneinheit zu behalten. Diese Vorgehensweise wird umgangssprachlich als „Bulimie-Lernen“ („cramming“) bezeichnet und ist unter Schülern verbreitet, die Stoff in letzter Sekunde vor einer Prüfung auswendig lernen möchten.

Dieser Effekt wird durch die Ergebnisse einer Studie von Rawson und Kintsch (2005) belegt. Abbildung 1 zeigt die Auswirkungen von geballtem gegenüber verteiltem Lesen auf einen sofortigen bzw. auf einen verzögerten Test. Kurz zusammengefasst: Massiertes Üben bringt mehr Erfolg, wenn der Test unmittelbar nach dem Lernen erfolgt, aber dieser Vorteil verschwindet bereits nach ein bis zwei Tagen.

Studie zur verteilten Wiederholung

Anzahl der erinnerten Informationseinheiten als Funktion der Lerngruppe (einmalig, massiertes Wiederholen oder verteiltes Wiederholen) und Zeit des Tests (unmittelbar nach dem Lernen oder mit einer Verzögerung von 2 Tagen). Ergebnisse nach Rawson und Kintsch (2005).

Eine Technik, die im Lernalltag selten genutzt wird

Diese bemerkenswerte Intuition wurde inzwischen in verschiedensten Bereichen bestätigt, darunter motorisches Lernen, Wiedererkennung, das Erlernen von Wortpaaren, freies Erinnern, Sprachverarbeitung, statistisches Lernen und Wortschatzaufbau. Der Effekt zeigt sich außerdem bei vielen verschiedenen Populationen: Kinder, Erwachsene, Tiere, sogar bei Patienten mit Amnesie. Trotz der zunehmenden Zahl von Studien, die diesen Effekt belegen, ist verteiltes Üben im Lernalltag noch nicht weit verbreitet. Falls Ihnen das auffällt, sind Sie nicht allein: 1988 schrieb Frank N. Dempster einen Artikel, in dem er die mangelnde Anwendung von verteilten Wiederholungen als „Nichtnutzung der Ergebnisse psychologischer Forschung“ beschrieb.

Seitdem zeigt eine Metaanalyse zum Effekt verteilten Übens (Cepeda et al., 2006) über 184 Artikel hinweg, dass verteiltes Lernen von Wissenseinheiten durchgängig Vorteile bietet – unabhängig vom Behaltensintervall – also vom Zeitraum zwischen dem letzten Lernen und dem späteren Test. Zudem steigt der Lerneffekt mit zunehmendem zeitlichem Abstand zwischen den Lernsitzungen. Im Schnitt ergibt sich durch verteiltes Üben eine um 15 % höhere Behaltensrate bei Kindern und Erwachsenen als durch massiertes Wiederholen. Allerdings hält dieser Vorteil nicht unbegrenzt an: Wird das Behaltensintervall zu lang, hat eine weitere Verlängerung keinen oder sogar einen negativen Effekt auf das Erinnerungsvermögen.

Wie immer gibt es auch hier Einschränkungen. Obwohl das Thema schon lange untersucht wird, können Psychologen noch nicht den optimalen Zeitabstand zwischen den Wiederholungen desselben Materials benennen. Zudem wissen wir wenig über die Auswirkungen von expandierenden oder zusammengezogenen Übungsplänen auf die Behaltensleistung. Diese Aspekte gilt es in zukünftigen Studien noch genauer zu erforschen.

Wie können Lehrkräfte diese Technik anwenden?

In ihrem Artikel „Teaching the science of learning“ schlagen Yana Weinstein und ihre Kollegen zwei Möglichkeiten vor, wie Lehrkräfte Abrufübungen in die Praxis umsetzen können:

  1. Die erste Möglichkeit besteht darin, im Laufe des Schuljahres wiederholt Gelegenheiten zu schaffen, auf bereits behandelte Inhalte zurückzukommen. Das erfordert etwas Planung, doch das Auffrischen älterer Inhalte dauert meist nur wenige Minuten. Sie könnten beispielsweise Wooclap verwenden, um die Lernenden zu Beginn einer Stunde zu befragen.
  2. Die zweite Möglichkeit ist, ältere Schüler (ab Oberstufe) dazu zu befähigen, ihren Lernplan selbstständig zu gestalten. Die Idee ist, die Präsenztage des Unterrichts und die Tage für häusliche Übungen abzuwechseln. Findet beispielsweise der Geschichtsunterricht dienstags und donnerstags statt, könnten die Wiederholungen zuhause am Montag und Mittwoch (oder Freitag) eingeplant werden.

Quellen:

  • Rawson, K. A., & Kintsch, W. (2005). Rereading effects depend on time of test. Journal of Educational Psychology, 97(1), 70–80. https://doi.apa.org/record/2005-01890-007?doi=1
  • Dempster, F. N. (1989). Spacing Effects and Their Implications for Theory and Practice. Educational Psychology Review, 1(4), 309–330.
  • Cepeda, N. J., Pashler, H., Vul, E., Wixted, J. T., & Rohrer, D. (2006). Distributed practice in verbal recall tasks: A review and quantitative synthesis. Psychological Bulletin, 132(3), 354–380. https://doi.apa.org/record/2006-06233-002?doi=1
  • Weinstein, Y., Madan, C. R., & Sumeracki, M. A. (2018). Teaching the science of learning. Cognitive Research: Principles and Implications, 3(1).

Autor*in

Florian Zenoni

Florian Zenoni

Florian ist Data Scientist und Redakteur bei Wooclap

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